Montag, 12. Juli 2010

Kapitel 5 "Boulevard of broken dreams"

Der Matheunterricht lässt mich vollkommen kalt, aber dass Nathan die ganze Zeit auf dem Schulhof verweilt macht mich total hibbelig.
Er wandert auf und ab mit seinem Slipknot Shirt, der schwarzen Hose und den 'Rangers' Stiefeln und stiert ständig hier rauf. Ich bezweifle aber, dass er mich sehen kann, denn dazu spiegeln die Scheiben zu sehr aus seinem Blickwinkel.
Was hat er vor? Er weiß nicht mal wie Sean aussieht, also sollte ich mir um ihn vorerst keine Sorgen machen...oder? Was hat Jessica alles erzählt? Alles dreht sich in meinem Kopf, ich komme nicht zur Ruhe, geschweige denn dazu, mich hier zu konzentrieren.


Nathan folgte mir stumm und ohne einen Blick mit mehreren Metern abstand zur Schule und blieb irgendwann einfach stehen. Und nun sitz ich hier seit 4 Schulstunden schwitze vor Panik und Jess...ist total aus dem Häuschen. Sie bildet sich nun ein, er käme wegen ihr hierher und das lässt auch keinen anderen Schluss zu, als dass Jess von ihm bearbeitet wurde. Körperlich wie seelisch.

Meine Hände zittern, ebenso wie meine Beine und ich starre gebannt auf die Tafel, die der Lehrer mit Formeln vollschmiert. Ich habe keine Ahnung, was das alles dort bedeuten soll. Weder das auf der Tafel noch dort unten auf dem Schulhof.
Hm?
Jessica greift dauernd in ihre Hoodietasche. Ich schreibe schnell was auf einen ausgerissenen Schnippsel und werfe ihn geschickt über ihre Schulter auf ihr Heft. Hoffentlich kann man das Gezitter lesen.
Keine 30 Sekunden später liegt er wieder bei mir auf dem Tisch. Auch wenn sie dumm wie ein Meter Fliesenfuge ist; ein Knöllchen Papier blind über ihre Schulter nach hinten gezielt zu werfen beherrscht sie tadellos.
Auf meine Frage, ob sie was suche schreibt sie folgendes: "Nathan schreibt mir SMS, muss ja aufpassen, dass keiner es mitbekommt."
Das kann nichts Gutes bedeuten. "Was will er denn?", frage ich und die Antwort auf einem neuen Schnippsel lässt es mir kalt den Rücken runterlaufen.

"Er will ein Foto von Sean, das hab ich ihm schnell geschickt."

Irgendwer hasst mich doch gewaltig. Nein, nicht irgendwer, sondern das Leben. 
Mir wird schwindelig und ich hab das Gefühl wiedermal brechen zu müssen. Ohne ein großes Wort renne ich hinaus, denn ich bin mir sicher, dass Jess es gleich per SMS weitersenden wird und Nathan seine Chance kommen sieht. Sie denkt jetzt bestimmt, ich renne zu Nathan raus...

Ich muss Sean warnen, koste es, was es wolle.


Habt ihr schon einmal versucht einen Menschen aus einer Parallelklasse ausfindig zu machen ohne zu wissen, in welchem Raum er grade Unterricht hat? Die Nadel im Heuhaufen hätte ich schon längst entdeckt. Minuten vergehen und meine Panik wächst zu einem Wahnsinnsanfall heran, der in nicht allzu ferner Zukunft zu einem Ohnmachtsanfall ausarten wird. Ich spüre ihn schon förmlich auf der Zunge.
Fragend stürme ich durch die Flure, doch keiner kann mir sagen wo Sean ist. Zum Henker...Moment, was ist, wenn er heute gar nicht in der Schule ist? Gesehen habe ich ihn heute noch nicht, muss nicht viel heißen, aber es wäre eine Möglichkeit.
Prüfend blicke ich aus dem Fenster um zu sehen, was Nathan treibt und stelle mit Entsetzen fest: Er ist nicht mehr da, wo er vorher stand. 
Ich lasse meinen Blick etwas schweifen, aber Fehlanzeige. Jessica, du blödes Plappermaul!
"Hey, was soll denn der hektische Blick, suchst du wen?"
Diese Stimme...Sean!
"Whoa!", er hebt beide Arme hoch in die Luft, "Tu mir nichts, ich habe keine Frau und viele uneheliche Kinder!"
Obwohl ich lachen muss ziehe ich ihn einfach am linken Arm in den nächstgelegenen, leeren Unterrichtsraum und schließe die Tür.
"Also...wenn du mich jetzt unbedingt verführen willst...ich.." - "PSCHT!", unterbreche ich ihn rüde.
Ich horche an der Tür, es nähern sich keinerlei Schritte.
Mit besorgtem Gesichtsausdruck drehe ich mich zu ihm um. "Ich muss dich warnen. Mein Stiefbruder ist aus schwer erklärlichen Gründen stinkwütend auf dich...Kannst du mit deinen Fäusten umgehen?"
Unbeeindruckt zieht er eine seiner Augenbrauen hoch. "Bitte was?"
Ich seufze. "Er will dir weh tun und ich bin Schuld...Wenn dir ernsthaft etwas zustößt, weiß ich nicht, ob ich das verkraften kann."
"Öhm, ist das der Teil, wo wir übereinander herfallen?", er spitzt scherzhaft und mit blödem Gesicht die Lippen.
"Du Vollidiot, ich meine es ernst! Er will dir vermutlich alle Knochen im Leib brechen und du machst bescheuerte Witze! Argh, Männer!" Ich stampfe wütend mit meinen Beinen auf, bemerke aber, dass es kontraproduktiv ist und höre nach einem kurzen Moment damit auf.
Meine Augen füllen sich zum gefühlten millionsten Mal in den letzten Tagen abermals mit Tränen. Wenn ihm etwas wirklich Schlimmes passieren würde und dieses liebliche Antlitz zerstört wäre, gäbe es nichts Schönes mehr in meiner Welt. Mein Schönheitsfleck wäre tot.
"Hey, nun weine doch nicht wieder...Ich stehe nur voll auf dem Schlauch, wie immer eigentlich. Weißt du, es geht mir immer so nah, wenn du weinst und das obwohl wir uns kaum kennen. Wenn es dir hilft...", er sieht verlegen auf den Boden, "Ich mag dich. Meine Gedanken kreisen ziemlich oft um dich und...ach Rotz, ich bin nicht gut darin mich zu erklären."

"Und Carol ist nicht gut darin leise zu sein."

Zwei Augenpaare richten sich auf den Neuankömmling in dieser Runde: Nathan.
Versteinert stehe ich mitten im Biologieraum, umgeben von Plastikhirnen, unechten Herzteilen und ausgestopften Vögeln. Ich fühle mich, als fielen mir alle Bücher der Klassen 5-10 auf den Kopf.

"Du bist also Sean 'das Schaf'? Blond genug bist du dafür ja." Mach dich nicht über das schönste Platinblond der Welt lustig. Dein Dreckshaar kann damit nicht mithalten.
"Kommt immer darauf an, wer das wissen will. Wenn man neu in eine Runde kommt, stellt man sich zuerst vor." Sean scheint in den Modus "Ernsthaft" gewechselt zu haben. Sogar diese Seite finde ich extrem schön.
"Pf, für dein Alter bist du ganz schön frech. Carol widerspricht mir nie so einfach, nicht wahr, Schatz?" Er wendet sich mir zu. 
Wenn ich widersprechen könnte, würdest du ganz schön was zu hören bekommen, aber auch jetzt bleibe ich stumm. Ich habe so Angst um Sean.
"Schatz? Wenn ich richtig informiert bin, bist du ihr Bruder und nicht ihr fester Freund", spricht er leicht stotternd. Als wüsste er, was gleich kommt, lehnt er sich an einen der Tische an.
Das schrecklichste Lächeln der Welt erscheint aufs Neue. "Ich bin ihr Stiefbruder und somit nicht mit ihr blutsverwandt. Und  falls es dich interessiert: kürzlich hatten wir unser Einjähriges."
"Das ist nicht wahr!", schreie ich mit ganzer Kraft heraus. "Du weißt genau, dass nur dein Spatzenhirn dir das einredet und -", eine Hand vor meinem Mund verbietet mir weiterzusprechen. Nathan flüstert mir einen Deal ins Ohr.
Ich zucke und weine erneut. Das kannst du doch nicht von mir verlangen!
Sean hat von der angelehnten Position in eine aufrechte Haltung gewechselt. Es sieht ein wenig so aus, als wäre er bereit schnell zu mir zu springen und mich aus dem Griff zu lösen. Ich deute aber mit meiner flachen Hand an, dass dies nicht nötig ist.
Nathan zieht sich zurück und geht in Richtung der Tür, aus der er kam und bleibt kurz davor, mit Blick zu uns, stehen.
Mein Puls rast. 
Sean...du mein Schönheitsfleck. 
Tränen fließen weiterhin ihrer Wege. Unaufhaltsam.
Minutenlang starre ich ihn an und er mich.
"Carol? Was hat er gesagt?", fragt er besorgt und mit leichtem Zittern in der Stimme.
Ich schlucke einmal mit aller Kraft.
"Das geht dich nichts an, schließlich haben wir nichts miteinander zu tun. Und um ehrlich zu sein...", ich wende meinen Blick von ihm ab, "Ich kann dich nicht ausstehen. Du kotzt mich an."
Verwirrt von meinen Sätzen fängt Sean an leicht zu lachen.
"Das ist nicht dein Ernst. Sieh mich wenigstens an, wenn du sowas sagst. Ich dachte, wir verstehen uns so gut und..."
Ich beiß mir auf die Unterlippe und sehe ihn an.
"Und was? Bloß weil ich nett zu dir war? Und dass ich dich vollkotzte war auch nicht unbedingt ein guter Beweis dafür, dass ich dich mag."
Er sieht verletzt aus. Das Meeresblau seiner Augen verliert an Glanz. Bitte nicht, ich sehe diese Farbe doch so gern!
"Du weichst aus...", stammelt er,"Sag mir ins Gesicht, dass du mich nicht magst und dass niemals sowas wie Sympathie zwischen uns herrschte. Dann kann ich guten Gewissens - "
"Ich hasse dich!", unterbreche ich ihn. 
Ich liebe dich. 
Mein Herz zerfetzt es grade und ich wundere mich, dass es niemand hört.
Vor Tränen sehe ich nichts, das ist das, was mir es ermöglichte, ihm direkt ins Antlitz zu kreischen.
Kommen da Tränen aus dem blauen Meer?
Sean dreht sich weg und stürmt aus der Tür hinaus. Ich hingegen blicke immernoch auf die Stelle, wo er bis vor 3 Sekunden stand.
Beifall ertönt.
"Das hast du gut gemacht, meine Kleine. Endlich weiß er, woran er ist."
Endlich weiß ich, dass ich nicht für ihn schwärme. Aus den kleinen, netten Gesten ist zarte Liebe gewachsen, doch das kleine Unkraut musste ich ausrupfen - es hätte sein Leben zerstört.



Als ich Arm in Arm mit Nathan das Schulgelände verlasse, muss ich nochmals daran denken, was er mir zuflüsterte:

"Wenn du ihm klarmachst, dass du nichts von ihm willst, verschone ich ihn. Versprochen."


Es ist das Beste für dich Sean. Mein zerfetztes Herz lasse ich da liegen, wo es zerbrach. Außer dir soll es niemand haben.
Und meinen Körper will nun sowieso niemand mehr der bei Verstand ist, so wie du. Wegen dir werde ich wohl nie wieder ans Meer fahren können, aus Angst deine wunderschönen Augen zu vermissen.

Als Nathan mich schon im Hausflur nimmt, zwingt er mich deinen Namen zu rufen. Es tut mir leid, dass dieser klangvolle Name so in den Schmutz gezogen wird und immer, wenn ich dem Befehl folge, muss ich mich übergeben.

Am Morgen lässt er erst wieder von mir ab um zu schlafen. Ich beschließe nicht mehr länger hier zu bleiben und packe leise eine Tasche. T-Shirts mit belanglosen Motiven und 4 Paar Hosen, sowie 2 Kleider stopfe ich hinein. Meine komplette Unterwäschesammlung findet grade noch Platz.

Die Sonne geht auf und ich höre den hässlichsten Menschen der Welt schnarchen. Eines Tages, eines wunderschönen Tages wirst du, Nathan, bitter dafür bezahlen. 
Bis dahin sollst du damit leben, mich nicht mehr zerstören zu können, bis ich genug Kraft habe, dir deine Eier zu zerquetschen.

Sean, du mein Schönheitsfleck, du und das zarte Blau deiner Augen fehlt mir schon jetzt.

3 Kommentare:

  1. Vielen Dank dafür, das Du mich schon wieder total fertig vorm Rechner zurücklässt.
    Jessica ist echt eine dumme Stulle. Aber sie weiß es wohl nicht besser. Liebe macht wohl echt blind. Und wenn man so in Nathan verschossen ist...
    Bei Nathan versuche ich immer noch herrauszufinden warum er sowas tut. Carol und Sean tun mir hingegen sehr leid. Man hat sich echt gut vorstellen können wie sie ihn anschreit das sie ihn hasst. Ich hab sein Herz brechen sehen. OMGWTFBBQ :D Ich will das nächste Kapi!

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  2. Wie immer bin ich vollends begeistert! <3
    Dieses Kapitel ging ziemlich ans Herz und mir tut sie immer mehr leid. :/ Und ganz ehrlich, Jessica würde ich eine reinhauen. xD Blöde, dumme Kuh.
    Freu mich schon aufs nächste Kapitel! :)

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  3. Hach, ich schaffe aber auch sympathische Charaktere XD Nathan soll sterben, Jess gehört vermöbelt...und Carol zumindest geknuddelt ^^

    hehe, ich hoffe du wirst weiterhin hier gut unterhalten <3

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